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"In LIFE ON EARTH geht es um das Leben an einem Ort, die Anekdoten und Erfahrungen, die entstehen, wenn Leute sich zufällig treffen; die Geschichten vom Reisen und der holprigen Suche nach Heimat" (CABULA 6)

Dienstag, 17. August 2010

MARIAS ARCHE

Maria empfängt mich mit einem Nudelsalat, in dem mir Blümchen und Kräuter aus ihrem Garten entgegenlächeln. Dass ich gerade keinen Hunger habe, gilt nicht - ich muss auf jeden Fall kosten. "Ist alles Eigenanbau, außer die Nudeln natürlich", sagt sie und grinst.

Der Garten - ja, der ist prächtig: Gepflegte Gemüsebeete, die Tomaten und die Bohnen gut gestützt, Kräuter, die ich noch nie gesehen habe und die sie mir zum Probeschnuppern unter die Nase hält, Blumen in allen Farben und Formen, die in jedem Nicht-Nutzgarteneck sprießen und blühen, ein stolzer alter Apfelbaum und ein Weichselbaum in der Mitte. Das Gartenhaus ist ein Knusperhäuschen aus dem Märchenbuch, mit Blumenkästen voller Pelargonien auf den Fensterbrettern und kleinen steingesäumten Beeten davor. Alles ist ein bisschen chaotisch, improvisiert, bunt - und fügt sich doch zu einem harmonischen Bild.

So wie Marias Leben. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings flüchtete sie mit ihrem ersten Mann 1968 aus der Slowakei nach Österreich. Sie landeten wie viele andere im Flüchtlingslager Traiskirchen. Dort sagte man ihnen, dass es viele Länder gebe, in die sie ausreisen könnten: Kanada, Australien, Schweden, Chile, die Schweiz - nur Österreich blieb ihnen vorerst versperrt.

Also entschieden sie sich für Australien, blieben acht Jahre dort und Maria bekam drei Kinder. 1976 hielt sie es dann nicht mehr aus. "Mein Mann war ein Säufer", fasst Maria nüchtern zusammen und zündet sich eine Zigarette an. Wir sitzen inzwischen auf der gemütlichen Heurigenbank vor dem Gartenhäuschen und trinken Kaffee. "Ich habe meine Kinder gepackt und bin alleine zurück in die ČSSR". In den zwei Jahren, die sie dort blieb, starb ihre Mutter, die politische Situation blieb prekär, und bald hielt sie dort nichts mehr. Sie stellte einen neuerlichen Ausreiseantrag nach Österreich und arbeitete als Putzfrau. "Die haben mich aber nicht mehr im Krankenhaus putzen lassen, sondern nur noch Stiegenhäuser. Wegen Spionageverdacht." Maria ist immer noch ziemlich sauer auf die. Irgendwann in dieser Zeit lernte sie ihren zweiten Mann kennen, der auch weg wollte.

1978 war es dann soweit: Der Ausreiseantrag wurde genehmigt. "Das zweite Mal Traiskirchen war schlimm", sagt Maria. "Warten, immer nur warten, und das mit zwei kleinen Kindern. Das Wohnungsansuchen ist vier Jahre lang liegengeblieben." Sie versuchte auf eigene Faust, eine Wohnung in Wien zu finden. Als sie eine leerstehende Wohnung im Eigentum des Bundes aufgetrieben hatte, sagte man ihr, dass die für Diplomaten vorgesehen sei. Sie heiratete ihren zweiten Mann in Traiskirchen und dann war das dritte Kind auf dem Weg. 1981 wurde ihr jüngster Sohn geboren und endlich wurde der Familie eine Wohnung in Wien zugesagt. Nein, nicht ganz in Wien - in Macondo. Und darüber ist Maria bis heute froh. "Macondo war meine Arche Noah" sagt sie und meint es so.

In Macondo war und ist alles ein bisschen anders. Eine Insel mitten in Simmering, bewohnt von Menschen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Sprachen, Religionen, Kulturen. Seit 1956 hatten die BewohnerInnen die wilde Landschaft rund um die ehemalige K&K Kaserne in bezaubernde Gärten verwandelt, über deren Zäune hinweg ein reger nachbarschaftlicher Austausch zwischen den Communities gepflegt wurde.

"Der Garten ist mein Therapeut"

Maria fragte beim Leiter der Siedlung nach, ob sie ein brach liegendes Grundstück neben ihrer Wohnung als Garten nutzen dürfe. Sie durfte. Maria baute einen Zaun und einen Brunnen, grub die Erde um und legte Beete an. Nach zwei Jahren hieß es plötzlich, dass die Siedlungsleitung das Grundstück für ein Büro brauchte und sie musste ihren Garten aufgeben.

Ohne konnte sie aber nicht mehr sein. "Der Garten war und ist mein Therapeut, also musste ich mich nach einem Neuen umschauen." Sie fand ihn inmitten von bestehenden Gärten, hinter dem Fussballfeld - nur Wiese und ein alter Apfelbaum. Maria baute wieder einen Zaun, schlug einen Brunnen, legte neue Beete an und übersiedelte all ihre Pflanzen.

Dann erfuhr sie, dass das geplante Büro doch nicht gebaut werden sollte. Also wieder alles zurück, weil der alte Garten neben der Wohnung mit kleinen Kindern eben doch praktischer war. Ich stelle fest, dass ich auf soviel Hin-und-Her-Geschobenwerden ziemlich verbittert reagiert hätte. "Das war ja noch nicht alles", schnaubt Maria, "sie wollten das Büro nach zwei Jahren dann doch wieder bauen und ich hatte die Nase endgültig voll. Ich habe meine Pflanzen zum letzten Mal ausgegraben, hierher gebracht und bin geblieben."

Und das seit nunmehr siebenundzwanzig Jahren. Jeden Tag ist sie hier und auch ihre Kinder und die sechs Enkelkinder sind oft zu Besuch. Dass sie für ihren Garten seit zwei Jahren Miete an den Grundstückseigentümer BIG zahlen muss, irritiert sie. "Was geschieht mit dem Geld aus den Mieten, frage ich mich? Es wird nichts gepflegt, kein Müll geräumt. Und das Schlimmste sind die Tauben." Ein paar Nachbargärtner versuchen sich nämlich seit einiger Zeit als Taubenzüchter - Geruchsbelästigung und Dreck inklusive. Maria plant gerade eine Unterschriftenaktion gegen das Taubenproblem.

Ich denke, dass ihr ungebremster Elan und das Nicht-Unterkriegen-Lassen ihr Geheimnis sind. Und natürlich Dutzende verschiedene Kräuter, aus denen sie Säfte, Tees, Tinkturen und Bäder macht oder die flott im Salat landen. "Ich pflücke jeden Morgen frische Malvenblätter für den Frühstückstee", sagt sie stolz und zeigt mir den Malvenstrauch. Ich wundere mich über die leeren Joghurtbecher, die neben den fein säuberlich aufgereihten Tomatenpflanzen halb in die Erde eingegraben sind. "Die Tomaten mögen keine nassen Füsse, deshalb gießt man sie besser indirekt." Die Becher haben unten Löcher, so können sich die Wurzeln das Wasser gut dosiert aus dem Boden holen. Ich bin beeindruckt. Dann machen wir ein paar Fotos vor den prachtvollen Rosen und trinken noch einen Kaffee. Ich will gar nicht mehr gehen.

Ach ja, was ist mit dem zweiten Mann passiert, der kam in der Geschichte gar nicht mehr vor. "Leider auch ein Trottel", resümiert Maria, "da wollte ich lieber alleine sein." 1993 lernte sie dann allerdings Zdenek kennen, und der ist "ein wertvoller Mensch". Die beiden haben zwar keine gemeinsamen Kinder, aber er nahm ihre an als wären es seine eigenen. Mit ihm hat sie auch gelernt, dass man niemanden krampfhaft an sich binden darf. "Man muss den Menschen ihre Freiheit lassen" - den Rat gibt sie mir mit einem Schultertätscheln mit auf den Weg, als sie mich zurück zum Nachbarschaftsgarten begleitet, eine Kanne frischen Kaffee in der Hand.


Barbara Dissauer
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Marias Gartenhäuschen - die bunte Dekoration hat sie über Jahre gesammelt.

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Die Sache mit der Fliegengittertür nimmt Maria sehr ernst. Gelsen und Fliegen haben bei ihr keine Chance - und mein zunächst schludriges Offenlassen auch nicht.

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Tisch und Sessel in der Laube hat Marias Mann Zdenek selbst renoviert - alles ein bisschen windschief aber "er ist halt kein Bastler".

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Jeden Morgen pflückt Maria ein paar Malvenblätter für den Frühstückstee.
Die Flammenblume (Phlox) ist ihre Lieblingspflanze, "weil sie so wunderschön buschig blüht und herrlich duftet".

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