...

"In LIFE ON EARTH geht es um das Leben an einem Ort, die Anekdoten und Erfahrungen, die entstehen, wenn Leute sich zufällig treffen; die Geschichten vom Reisen und der holprigen Suche nach Heimat" (CABULA 6)

Mittwoch, 1. September 2010

KATZENMUTTER KATALIN

Katalin sitzt auf einem Einkaufswagen neben dem kleinen Müllplatz vor ihrem Wohnhaus. In der Sonne räkeln sich ihre Katzen, gähnen, streifen faul um die kaputten Autos herum, die hier abgestellt wurden. "Kinder", ruft Katalin, und dann kommen noch mehr, aus den versteckten Winkeln rund um ihren Garten, der gleich an die Mauern des Müllplatzes grenzt. Acht Katzen hat sie, davon wohnen zwei in ihrer Wohnung, zumindest im Winter. Die haben sogar Namen, Fuchsi und Tiger, so wie sie halt ausschauen. Die anderen bleiben weitgehend namenlos, heißen Schatzi, Mausi oder eben Kinder. Sie dürfen im Gartenschuppen schlafen, wo sie ihnen ein gemütliches Plätzchen gerichtet hat. Woher die denn alle kommen? fragt Lisa. "Hab ich hinten eine gfunden" - Katalin zeigt vage hinter ihren Rücken - "ist gleich ein ganzer Haufen mitgekommen".

Während Lisa mit ihr plaudert, klettere ich auf die Mauer, um einen Blick in den geheimnisvollen Garten zu erhaschen, den sie uns zunächst nicht zeigen will. "Zu viele Gelsen", sagt sie und macht mit der Hand eine Bewegung, als würde sie die lästigen Insekten verscheuchen. Außerdem hatte sie dieses Jahr eine Augenoperation, beide Augen, und konnte daher nichts im Garten machen. "Ich bin gegangen wie ein blinder Hund", sagt sie.

Über ihre Familie redet sie nicht so gerne. 1956 flüchtete sie aus Ungarn und landete irgendwann in Macondo. Seit dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1983 ist sie nie wieder in Ungarn gewesen, obwohl eine ihrer beiden Töchter und die Enkel dort leben. Die zweite Tochter ist "bei der U-Bahn", kommt manchmal vorbei und fragt: "Brauchst was?" Katalin antwortet meistens "na", manchmal, dass sie Katzenfutter brauche. "Katzenfutter brauch ich immer".

Sie ist eine Einzelgängerin. "Ich kann alles selber machen", sagt sie, "im September tu I Holz schneiden", für den Holzofen. Letztes Jahr hat der Schwiegersohn geholfen, aber "der macht immer zu lange Scheite". "Selbst ist die Frau", meint Lisa - "Jojo" bekräftigt Katalin. Immerhin hat sie 45 Jahre lang auf der Baustelle gearbeitet, unter Männern. Was sie dort gemacht hat? "Stemmen - ois" sagt sie und zeigt eine Verletzung an ihrer Hand.

In Macondo kennt man Katalin. Während wir hier sitzen, kommen einige vorbei und grüßen. Imran, der auch oft an den Gartennachmittagen im Nachbarschaftsgarten vorbeischaut, wird mit einem schelmischen "Na was is oida Casanova?" begrüßt. Und Katalin kennt Macondo. Sie erzählt, dass über ihr "Schwule" wohnen und dass gestern Nacht wieder die Decke "gschebbert" habe. Und dass letztens ein erst fünfzigjähriger Mann im Haus plötzlich gestorben sei - "Hirnschlag, sofort tot", sagt sie und "Wenn man alt wird, ist das Beste, man stirbt schnell".

Über ihre Katzen redet sie am liebsten. "Schau nur wie sie schlafen" - Katalins Stimme wird ganz weich und zärtlich. Sie hat sie alle kastrieren lassen, im Tierschutzhaus. Nur eine, die Schwarze, hat gerade Kinder bekommen, aber Katalin weiß nicht wo sie die versteckt hat. "Komm her, Schatzi", ruft sie dem rot-weiß-Getigerten zu. "Wenn I kumm nach Hause, schaut er mich an. Miau. Was willst du? frage ich. Will er dass ich mich hinleg, Bussi geben tut er. A schlauer Fuchs is er."

Sie steht auf und öffnet eine der großen grauen Mülltonnen. "Wenn I kumm zum Mistkübel, dann kommt er und gibt mir a Bussi aufs Ohr". Und tatsächlich: Der rote Kater springt auf die Mauer und reibt sich an Katalins Wange. Sie wühlt in der Tonne und bringt ein Stück Knochen mit Fleischresten hervor. Lisa fragt, ob es sie nicht stört, da hineinzugreifen. "Na!", kommt es zurück, "schau was die alles wegschmeißen!"

Ich versuche sie noch einmal zu einer Gartenführung zu überreden. Bin neugierig. Katalin gibt schließlich nach und wir folgen ihr durch eine efeubewachsene Pforte in das Innere ihres Gartens. Wir gehen einen schmalen Pfad zwischen unbepflanzten Beeten und unter alten Bäumen. Nach der Begegnung mit der ersten Kreuzspinne gehe ich geduckt, manche Ängste wird man doch nie los. Weiter hinten hat Katalin eine wunderschöne Weinlaube, in der schon schwer die süßen Früchte hängen. Sie gibt uns welche zum Kosten. "Letztes Jahr habe ich zehn Kilo verkauft", sagt sie stolz. Angefangen hat sie mit ein paar Kernen - "wenn I was einsetz, wird das hundertprozentig was" - und wir staunen.

Der Garten kostet sie jetzt hundertzwanzig Euro im Monat, und das bei einer Pension von achthundert Euro. Wie sich das ausgeht, frage ich mich. Und was die mit dem Geld machen, fragt sie sich.

Nach einem Blick in den Schuppen - dem Winterkatzennest - , der Begutachtung von Beeten, die auf das nächste Jahr warten, Holzhaufen und Komposthaufen und dem Kennenlernen einer Menge mehr Kreuzspinnen, drückt uns Katalin noch je eine Traube in die Hand und wir verlassen den Garten, der mich ein wenig an Burnetts Secret Garden erinnert. So habe ich ihn mir immer vorgestellt, nur blühender und voller Gemüse - so, wie er vor Katalins Operation war und die nächsten Jahre wohl auch wieder sein wird.

Katalin nimmt ihren Platz auf dem Einkaufswagerl wieder ein. Wir danken ihr für ihre Zeit. "Is schon gut", sagt Katalin, zündet sich eine Zigarette an und betrachtet ihre Katzen.


Barbara Dissauer





















Katalin auf ihrem Platz bei den Mülltonnen. Hier findet sie immer wieder Leckerbissen für ihre acht Katzen.

***
















Secret Garden. Von der Mauer kann ich einen Blick in den geheimnisvollen Garten werfen.

***




















Drei von Katalins vielen Kindern. Fuchsi, der rot-weiße Kater vorne, und Tiger im Hintergrund leben bei ihr zu Hause, alle anderen werden mitgefüttert und dürfen im Gartenhaus schlafen.

***





















In der Weinlaube. Katalin lässt uns die süßen Früchte kosten.

***