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"In LIFE ON EARTH geht es um das Leben an einem Ort, die Anekdoten und Erfahrungen, die entstehen, wenn Leute sich zufällig treffen; die Geschichten vom Reisen und der holprigen Suche nach Heimat" (CABULA 6)

Mittwoch, 25. August 2010

JOSÉ, UNSER NACHBAR

José, sein Bruder Ramon und seine frühere Lebensgefährtin Astrid erwarten uns schon auf dem Weg, der zu seinem Garten führt. Direkt daneben liegt der Nachbarschaftsgarten. José ist also unser richtiger Nachbar. Einer, der über den Zaun Hola! ruft und dessen geschickte Hände immer eine große Hilfe sind.

Wir ignorieren den Nieselregen und begutachten die massiven Schäden, die der Sturm vor zwei Wochen in Macondo hinterlassen hat. Die Fläche rund um den Nachbarschaftsgarten hat es besonders schlimm erwischt. José runzelt die Brauen und zeigt auf die Bäume, die der Sturm wie Zahnstocher abgebrochen hat. Das Areal ist ziemlich verwüstet: Berge von Ästen, Laub und ganze Baumstämme türmen sich vor uns auf.

Dann betreten wir Josés Garten, den er schon weitgehend geräumt hat. Das Laub und die Äste sind trocken und können schnell Feuer fangen, sagt er ernst, "das muss man schnell machen." Er entschuldigt sich für sein Deutsch und ich wünschte ich hätte damals in der Schule doch Spanisch gewählt. "Wir werden uns schon verstehen", sage ich und wackle demonstrativ mit Händen und Füssen.

Josés Garten ist ein blühende Oase, deren unübersehbare Ordnung sich von der wilden Umgebung abhebt, besonders jetzt, nach dem Sturm. Aus allen Winkeln begrüßen mich die fröhlich-gelben Blütenköpfe der Blumen - den Namen habe ich vergessen - , die hier neben den knackigen Tomaten eindeutig die Chefs sind. Und dazwischen tausendfach Grün. Die Tomaten, fein säuberlich an blitzblauen Pfählen hochgezogen, bevölkern die gesamte Fläche auf der rechten Seite des Pfades. Ist beinahe ein kleines Feld. Vom Vater und vom Großvater hat er das Gärtnern gelernt, erklärt José, zum Beispiel wieviel Abstand die Pflanzen brauchen. Ich frage später, was er mit so vielen Tomaten macht. "Für die Familie", antwortet er.

Wir setzen uns unter das Zeltdach vor dem Gartenhaus, wo eine gemütliche Heurigenbank steht. Es regnet immer noch. Und dann erzählt José: Von Chile, von seiner Familie, von seinem Bruder Ramon, der nach dem Putsch Pinochets ins Konzentrationslager kam, und von Portieren und Verwaltern, die genau wussten, wer sich wann und wo traf. Von den vielen Regeln und Repressionen, aber auch von den kleinen Freiheiten, die man sich herausnehmen konnte: In einer Siedlung, in der er gewohnt hatte, war die Fläche für den Hausbau genau festgelegt: Zehn mal zwanzig Meter. Aber die Farbe, die Form war ihnen egal - man konnte auch rund bauen, deutet José mit einem verschmitzen Lächeln.

José hat schon viele Jobs gemacht. In Chile hat er als Glasbläser gearbeitet - "das war mein Beruf", erklärt er mit einem gewissen Stolz. Dann in einer Bäckerei, um drei der Früh ging es los, jeden Morgen buken sie tausende Brote, sagt José, dann um sechs wurde der Laden geöffnet. Später arbeitete er auf Obst- und Zuckerplantagen, südlich der Hauptstadtregion Santiago. Er sagt etwas, das ich nicht einordnen kann: "Accor..." - vielleicht eine Stadt, ein Dorf? Ein paar Verständigungsversuche später dämmert es mir: Akkordarbeit! "Ja!" - José ist zufrieden mit mir. "Mehr Geld", sagt er. José jätete Unkraut - "wir haben sauber gemacht", nennt er es, erntete Kirschen, Marillen, Weintrauben, Birnen und Zuckerrüben. Nach der Ernte wurden die Bäume geschnitten, dann war Pause, und im nächsten Jahr ging es von vorne los. "Da hast du auch viel über das Gärtnern gelernt" stelle ich fest. "Ja", sagt José und wechselt das Thema.

Die Brüder und die Mutter waren schon in Österreich, als er 1979 nach Traiskirchen kam. Seine Frau und die beiden Kinder reisten ihm zwei Jahre später nach, lebten allerdings ein paar Kilometer entfernt im ÖIF-Integrationshaus in Mödling-Vorderbrühl. José wechselte seinen Job, von einer Metallfabrik an den Flughafen. Dort blieb er über zehn Jahre. Er erzählt, wie er damals versuchte, regelmäßig am Wochenende für einen Tag frei zu bekommen, um seine Frau und die Kinder zu sehen. Einem jüngeren österreichischen Kollegen wurde das genehmigt, ihm nicht. "Unfair", schnaube ich entrüstet. "Habe mich krank gemeldet", entgegnet José mit einem spitzbübischen Lächeln.

In den frühen Achzigern stellte die mittlerweile sechsköpfige Familie - zwei Kinder wurden in Mödling geboren - ein Wohnungsansuchen und erhielt tatsächlich kurze Zeit später eine Wohnung in Wien, im zehnten Bezirk. Josés Brüder und die Mutter lebten in Macondo, das war nicht sehr weit. Die Mutter hatte damals schon einen Garten, den sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten auf Vordermann gebracht hatte. Irgendwann wollte die Mutter zurück nach Chile. José stellte einen Antrag beim Innenministerium, um Wohnung und Garten der Mutter zu übernehmen. "Warten, warten, dann ok", sagt er und lässt den Blick über seinen Garten streifen. In der Pension möchte er auch nach Chile reisen, sagt er noch, vielleicht nur zu Besuch, vielleicht auch länger.

Schließlich ließen sich seine Frau und er scheiden. Der Garten war seine Therapie, resümiert José. Seltsam, das habe ich schon einmal gehört. Astrid, auch eine Chilenin, lernte er vor rund zwanzig Jahren in Macondo kennen, sie lebte seit ihrer Kindheit hier. Letztes Jahr haben sie sich getrennt, heute sind sie "beste Freunde", sagt Astrid, die vorbeigekommen ist, um uns zu Kaffee und Kuchen in Josés Wohnung abzuholen, die nur ein paar Minuten entfernt liegt.

Nach der Geburt von Tochter Eugenia vor siebzehn Jahren begann José im Laaerbergbad als Badewart zu arbeiten. "Nicht Bademeister - Badewart", betont er. Er hat lange Arbeitszeiten, da bleibt unter der Woche nicht viel Zeit zum Gärtnern. Montag und Dienstag sind Josés Wochenende, da werden die Pflanzen gehegt und gepflegt. Ich frage mich, wann und wie er es schafft, auch noch im Nachbarschaftsgarten auszuhelfen.

Was José allerdings beschäftigt, ist nicht der Zeitaufwand. Die Kosten bereiten ihm Kopfzerbrechen. Er rechnet mir vor, wieviele tausend Euro er in den letzten zwei Jahren an Miete gezahlt hat. Und was die Geräte gekostet haben, der Rasenmäher, die Wasserpumpe. Und dass die Baupolizei jetzt eine teure Senkgrube verlangt, weil das Gartenhaus eine gewisse Größe überschreitet. José braucht keine Senkgrube. Der Garten und das Haus müssen kleiner werden, sagt er und zeigt mir, wo er die Grenze ziehen möchte und wo das kleinere Häuschen stehen soll.

In der Zwischenzeit ist die Sonne herausgekommen. Ich mache noch ein paar Fotos, vom frisch gewaschenen Garten, von José und seinen Tomaten, von den strahlenden gelben Blumen. Astrid erinnert uns an den Kaffee, der in der Wohnung wartet.

Neben dem Küchentisch läuft der Fernseher, ein venezolanischer Sender. "Das chilenische Fernsehen ist nichts", sagt Astrid, während sie uns Kaffee einschenkt. Aus Venezuela bekommt man die Nachrichten, die Chile nie sendet, fügt José hinzu und schneidet den Guglhupf auf.

Barbara Dissauer















José zeigt mir was hier so wächst.

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Kleine Plantage. Der Regen hat den Tomaten dieses Jahr ziemlich zugesetzt, die Bohnen sind gar nicht gekommen. Nächstes Jahr möchte José ein Plastikzelt für die Pflanzen bauen.

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Riesentomate, und ganz Bio.

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Vor vielen Jahren setzte José eine einzige Blume ... mittlerweile sind es Tausende, die einem aus jedem Winkel des Gartens entgegenlächeln.