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"In LIFE ON EARTH geht es um das Leben an einem Ort, die Anekdoten und Erfahrungen, die entstehen, wenn Leute sich zufällig treffen; die Geschichten vom Reisen und der holprigen Suche nach Heimat" (CABULA 6)

Dienstag, 1. Juni 2010

PARKOUR-WORKSHOP MIT LEECH

WAS IST PARKOUR?
Jeder hat es mal irgendwie gemacht, zumindest als Kind: Sich frei bewegt, Hindernisse, die im Weg standen – Baumstümpfe, Geländer, Mauern - überwunden, die eigenen Grenzen (Was traue ich mir zu? Wozu ist mein Körper imstande?) ausgelotet.

Mit dem Älterwerden passen wir uns an, bewegen uns mehr und mehr auf den ausgetretenen Pfaden und vorgegebenen Routen: Gehwege, Zebrastreifen, Türen und Treppen.

Parkour greift den ureigenen Fortbewegungsdrang des Menschen auf und trainiert die Fähigkeit, spontan und behende in einem komplexen Umfeld zu manövrieren. Es ist die Kunst der effizienten Fortbewegung abseits des Vorgegebenen, Vorgelebten.

Die sogenannten Traceure setzen Körper und Geist dazu ein, Hindernisse zu überwinden und selbst gewählte Herausforderungen zu bewältigen. Dabei geht es nicht um spektakuläre Höchstleistungen, sondern immer um den individuellen Entwicklungsprozess. Und um die Freude, sich frei zu bewegen und zu spüren.

Parkour basiert auf der regelmäßigen Wiederholung von ganz einfachen Übungen, die das Körpergefühl und die Körperbeherrschung stärken. Dabei stehen Fragen im Vordergrund wie: Wie laufe ich? Wie springe ich? Wie und wo lande ich? Die Ziele sind immer klar und unmittelbar: Wie komme ich über diese Mauer, wie entlang dieses Geländers, ohne den Boden zu berühren?

DIENSTAG, 1.6. - PARKOUR IN MACONDO
Macondo bietet alles, was Traceure für ihre Leidenschaft brauchen: Mauern, Müllcontainer, Treppen und Geländer, Bänke, Randsteine.
Nur das Wetter will nicht so recht mitspielen. Der Himmel ist wolkenverhangen und droht mit Regen. In einer schlammigen Pfütze liegt eine vergessene Puppe.

Die Kinder, die sich zum Workshop eingefunden haben, sind voller Tatendrang und werfen skeptische Blicke nach oben, als würden sie den Himmel beschwören, noch ein paar Stunden Ruhe zu geben. Leech, der Trainer, lässt sich vom Wetter nicht beirren. Ein Anlauf, ein katzenartig-eleganter Sprung über ein Treppengeländer. Dann hantelt er sich am zweiten entlang, auf Höhe meiner Ellenbogen. Die Stufen sind für Pensionisten – und für Leute wie mich. Leech jedenfalls nimmt immer den direkten Weg oder den, der mehr Spaß macht.

So wie die Kinder. Die erkennen ihn als einen der ihren und zeigen was sie können. Turnen auf dem Geländer herum, springen, nehmen mehrere Stufen auf einmal.

Leech zeigt ihnen, wie sie die Bewegungsabfolgen mit mehr Leichtigkeit und Präzision hinbekommen. Und jede Übung wird wiederholt, bis sie sitzt.

Ein kleine Gruppe älterer Jungs beobachtet das Geschehen noch aus der Weite. Sie scheinen zwischen Mitmachen und Distanz zu schwanken. Einer springt mit Anlauf über einen verlassenen Einkaufswagen und ich denke automatisch, dass Parkour eigentlich nur ein Wort für das ist, was in unserer Natur liegt.

Die zylinderförmigen Betonklötze, die eine Zufahrtstraße neben den Müllcontainern begrenzen, sind ideale Hindernisse. Es wird auf- und drübergesprungen, und -gerollt. Der kleine Arman macht mit Begeisterung mit, halt noch mit Zwischenlandung.

Dann die Mauer, die die Müllcontainer umrandet. Eine echte Herausforderung. Leech nimmt Anlauf, springt wie ein Tiger, landet oben, wendet und ist schon wieder unten. Sieht aus als hätte er kein Eigengewicht, er berührt den Boden immer nur kurz.

Ich sitze auf einem abgestellten Einkaufswagen, hüte die Jacken der erhitzten Kinder und bewundere deren Hartnäckigkeit. Zwei, die etwa acht Jahre alt sind, lauschen andächtig den Erklärungen und versuchen sie konzentriert umzusetzen. Sie holen sich Abschürfungen und blaue Flecken und die Mauerkante wirkt unerreichbar hoch. Parkour verspricht nicht zu viel: Mit viel Übung gelingt eines Tages der richtige Absprung und man findet sich oben wieder.

Beim LIFE ON EARTH-Container, wo der Nachbarschaftsgarten Macondo entsteht, wird die einmeterhohe Rampe zum Übungsplatz für zielgenaue Sprünge – hinauf und hinunter – und das richtige Abrollen. Mittlerweile regnet es und der Boden ist glitschig. Ein paar der älteren Jugendlichen haben uns begleitet, immer noch unschlüssig, ob sie mitmachen sollen. Nach einer Weile trainieren doch noch ein paar von ihnen Sprung und Abrollen auf der Rampe.

Als wir gehen, begleiten uns die beiden Achtjährigen noch hüpfend bis zum Ausgang – dort wo die ganz eigene Welt von Macondo endet und doch irgendwie nicht - und wollen wissen, wann es weiter geht.

Barbara Dissauer